Lage.
Es ist ein eigenartiger romantischer Zauber, der den stillen Ort am
Niederrhein umgibt. Man komme, wann man wolle: an schönen
Vorfrühlingstagen, wenn die Wiesen die ersten Farben und die
Weidenbüschel ihre ersten Kätzchen zeigen; oder wenn das Hochwasser
des Rheins Straßen und Gassen des Ortes durchspült und die Bäume
geängstigt ihre Kronen aus dem weit gewordenen Strom emporrecken;
oder an heißen Sommertagen, wenn ein blauer Himmel über der
Verlassenheit des alten Städtchens brütet; oder wenn die
Herbststürme des Niederrheins über das Land dahintoben und
vergeblich an den alten Türmen und Mauern rütteln; oder im Winter,
wenn dicke Schneedecken auf den niedrigen Bürgerhäusern, und
bleigraue Wolkenballen, gleich schweren Behängen am Firmament,
melancholisch über dem Lande lasten. Eingeschlossen von Gräben und
Wehrmauern. die in graues Mittelalter zurückreichen, und über die
heute noch trutzige Wehrtürme und malerische Wachthäuschen
hinausragen, träumt das kleine Städtchen seit Jahrhunderten in
Weiden und Wiesen dahin, weltvergessen verlassen (Bild 1). Der Lärm
der Eisenbahn hat nie die feierliche Stille stören können. Noch
immer ist das Schiff von Düsseldorf, Benrath oder Köln, oder der
Postwagen, der nach Dormagen durch das Stadttor poltert, die
Verbindung mit der großen Welt.
Am schönsten
ist Zons, wenn man an lauen Sommerabenden den letzten Postwagen nach
Dormagen oder das Boot nach Urdenbach oder Benrath versäumt hat,
wenn man gezwungen ist, hier die Nacht zu verbringen; wenn der
Vollmond die Stadt mit seinen Silberwellen überrieselt und der linde
Nachtwind den Duft der Kastanien vor dem Rheintor in die Straßen
trägt. Türme und Wachthäuser der Stadt heben sich dann in ihrem
düsteren Umriß gespenstig vom Nachthimmel ab. Auf dem holprigen
Pflaster hallt jeder Schritt. Fehlt nur noch die Torwache, der
Turmwächter, der die Stunden der Nacht bläst, und der schwere
Schritt der erzbischöflichen Landsknechte von Köln. und vor unseren
Augen lebt wieder auf das Mittelalter vom Niederrhein mit seinen
endlosen Fehden und blutigen Interessenkämpfen, in jenen
mitternächtigen Stunden, wenn Zons' Bürger schon zur Ruhe gegangen
sind. Aber wer weiß von solchen Stunden? —Vielleicht nur die älteren
Düsseldorfer Maler, die sooft den eigenartigen Stimmungszauber des
Ortes eingefangen haben; und sie erinnern sich noch mit Behagen, daß
in ihrer Jugend auf der Düsseldorfer Akademie der schlanke
achteckige Wachtturm in der Rheinstraße mit dem Ausblick auf Strom
u. Wiesen (Bild 11) damals dem städtischen Nachtwächter von Zons
diente als luftiges und lustiges — Polizeigewahrsam gegen
ruhestörenden Lärm der Düsseldorfer Maler (Bild 3, 1).
Geschichte.
Und doch haben früher Lärm und Leben die alten Mauern gekannt, als
Zons noch die gefürchtete Zollstätte am Rhein und einer der
stärksten Stützpunkte des Erzstiftes Köln war; als auf Schloß
Friedestrom in Zons die Kölner Erzbischöfe Friedrich von Saarwerden
(1370 bis 1414) und Dietrich von Moers (1414—63) Hof hielten und
später Kriegsgeschrei um die Stadtmauern tobte. Die Kölner
Erzbischöfe hatten in Zons schon im 13. Jh, ein befestigtes Schloß,
das aber die Wut der Kölner Bürger nach dem Siege bei Worringen 1288
über den Erzbischof Siegfried von Westernburg (1274 - 97) bis auf
den Grund zerstörte. Friedrich von Saarwerden, einer der
baulustigsten und menschlich sympathischsten Kölner Erzbischöfe und
Erbauer oder Vollender der erzbischöflich Kölnischen Landesburgen zu
Hülchrath, Linn, Kempen, Zülpich und Lechenich, ließ von 1372 ab
eine neue Burg aufführen und den Ort befestigen. Zons wurde
Zollstätte. Friedrich von Saarwerden verlieh ihr am 31. Dezember
1373 Städterecht mit eigenem Gerichts- und Verwaltungsbezirk. Er ist
der Gründer der Stadt Zons, wie sie uns überkommen ıst.
Kriegswirren
und Brandschatzungen haben im 17. Jh. Stadt und Burg oft
heimgesucht. Die Feuersbrunst vom Jahre 1620 hat nur fünf der
Bürgerhäuser verschont. Das an sich nicht reiche Städtchen hatte den
Fortzug seiner wohlhabenden Bürger zu beklagen. Im Jahre 1646 lag
der hessische Oberst Rabenhaupt, diese Landplage des Niederrheins,
mit seinen Söldnern vor Zons. Brandpfeile sausten auf die
Bürgerhäuser herab. Bald griff das Feuer in der Stadt um sich. Aber
die Feste selbst vermochte Rabenhaupt nicht niederzuzwingen. Fünf
Jahre später freilich fiel sie doch, trotz der gewaltigen Basalt-
und Trachytquader wehrlos geworden gegen neuzeitliche Feuerwaffen.
Damit begann die Leidensgeschichte der Stadt. 1651 zerstörten die
Hessen Friedrich von Saarwerdens Schloß Friedestrom (Bild 8, 9). Die
Verwüstungskriege Ludwigs XIV. machten das Maß der Leiden voll.
Abwechselnd hausten nun Franzosen, Kaiserliche, Kurbrandenburger,
Holländer und Münsteraner als Herren in der Stadt, die schwer unter
der fremden Besatzung zu leiden hatte. Im Jahre 1767 war es mit Zons'
Zollherrlichkeit vorbei. Dann verfiel das abgelegene Städtchen der
Vergessenheit….
Die
Festung. Wenn aber auch Feuersbrünste und Beschießuugen,
Plünderungen und Zerstörungen Zons im 17. und 18. Jh. arg
mitgenommen haben, wenn auch die Burg heule Ruine, die alte Kirche
Friedrich von Saarwerdens im 19. Jh. einem unglücklichen Neubau hat
weichen müssen und die ältesten Bürgerhäuser nicht über das Jahr
1620 zurückreichen, so bleibt Zons dennoch in dem Reichtum seiner
Türme, Gräben und Mauern, in der ganzen Form ihrer Überlieferung das
besterhaltene Beispiel einer befestigten mittelalterlichen Stadt am
Niederrhein. Keine der gleichzeitig entstandenen Befestigungsanlagen
der Rheinlande, weder Zülpich,noch Lechenich ,noch Münstermaifeld,
Nideggen, Xanten, Ahrweiler, Kleve, Kalkar, Emmerich, Rees,
Bacharach und Oberwesel haben ein so klares Bild einer
mittelalterlichen Landesfeste und Stadtbefestigung in unsere
Gegenwart hinretten können, wie das aus einem Guß entstandene und
später in der Hauptsache kaum wesentlich veränderte Zons. Bei keiner
dieser Städte ist die ursprüngliche Anlage so klar erkennbar
erhalten (Bild 7). Das ist der eigene Reiz und die baugeschichtliche
Bedeutung von Zons.
Zolltor und
Zollturm. Durch das Zolltor, das heute leider sein ehemaliges
Außentor nicht mehr zeigen kann, gelangt man vom Rhein in die Stadt
(Bild 3, 1). Vor ihm umstehen drei verknorrte mächtige Kastanien das
Steinbild des Gekreuzigten. Das Wurzelgeäst der Bäume, dicht
ineinander verwachsen, bildet einen Boden fest wie Stein oder
uralten Estrich. Wenn der Sommer ins Land gezogen, hüllen die
prachtvollen Baumkronen, die tief hinunterreichen, wie eine Kapelle
den Kruzifixus ein. An ihrem hohen grünen Gewölbe leuchten blühende
Kastanienkerzen, und sie leuchten noch lange, wenn das Grün selbst
längst zur Ruhe gegangen. Neben dem Zolltor der gewaltige Zollturm
(Bild 3), die einst so gefürchtete Tributstätte der Rheinschiffer,
die aber heute stillen Klosterfrauen als Wohnung dient und mit den
beiden anstoßenden Häuschen und der gegenüberliegenden neuen kleinen
Kapelle sich zu einem Kloster einigt. Schwere Trachytquader haben
die Kanten fest verklammert. Basaltblöcke bewehren den Unterbau,
darüber Tuff und Backstein mit vereinzelten Basalten die
Obergeschosse. Der wuchtige sechsstöckige Turmbau ganz schmucklos,
nur hoch oben der schöne Stirnschmuck, ein gotischer, vorkragender
Spitzbogenfries, der den Wehrgang zu tragen hat, und darunter nach
der Rheinstraße das Steinbildnis des vor dem hl. Petrus knienden
Friedrich von Saarwerden (Bild 3).
Stadtanlage. Hoch oben vom Zollturm überschaut man Stadt und
Burg, eine gradlinig trapezförmige Anlage (Bild 7, 2). An den vier
Ecken des Mauerzuges der Stadt je ein wuchtiger Wehrturm (Bild 5—7).
Einer hat sich, als friedlichere Tage über den Ort kamen, eine Haube
zugelegt und ein breites Laufbrett auf abstehenden Balken in der
Höhe der Stadtmauer um sich gezogen. Seitdem klapperten vergnügt die
Flügel einer. Windmühle um den aus 35 unverwüstlichen
Basaltschichten aufgeführten Turmriesen, bis vor wenigen Jahren der
Herbststurm die alten Windmühlenflügel zerbrach (Bild 4, 8). Mitten
aus dem Stadtbilde ragt ein schlanker Rundturm auf, dem das 17. Jh.
die steile Barockhaube gab, der sog. Juddenturm (Bild 2). Eine
Familie Judde, die später den Turm bewohnte, gab ihm den Namen. Bis
hoch oben hin Basaltkopf neben Basaltkopf. Es ist der äußerste
Pıınkt der Burganlage nach dem Inneren der Stadt (Bild 7): Von hier
ziehen sich parallel zu zweien der Stadtmauern Burgmauern zu den
beiden anderen Stadtmauern. Hinter diesen Binnenmauern birgt sich
die Unterburg mit Stallungen, Wirtschaftsräumen und.
Knechtewohnungen. Ein breiter Graben, gefüttert mit Basalt und
Trachytquadern, trennt Hochburg und Unterburg. Die Hochburg bettet
sich in den Winkel des Stadtmauerringes, und der entsprechende
Eckturm der Stadtmauer wird zum Burgturm (Bild 6, 7, 9).
Rheinstraße. In der Rheinstraße, die vom Zollturm zur Burg führt
(Bild 7), stehen alte malerische Putzbauten des 17. und 18. Jh. mit
überkragenden Stockwerken, von elegant geschwungenen Konsolen oder
von einer Säule getragen, und an die Stadtmauer zum Rhein gelehnt
schlichte Backsteinhäuser, deren Giebel im Gegensatz zu dem
ernstgestimmten Zollturm in lustige Schwingungen gerät (Bild 3). Am
Ende des letzten Häuschens steigt ein schmales achteckiges
Wachttürmchen auf, einige zehn Meter weiter unterbricht ein anderes
die breite Ruhe der Stadtmauer, und ein Treppchen, an den inneren
Mauerring geschmiegt, führt zu ihm hinauf (Bild 3). Diese einzelnen
Bauten der Rheinstraße gruppieren sich so geschickt zueinander, daß
das Straßenbild, wie das Stadtbild von den Rheinwiesen aus
abwechselungsreiche malerische Silhouetten zeichnet (Bild 1). —
Hinter den anderen Mauerzügen aber wohnt der Ernst des
mittelalterlichen Festungsbaus. Über schwer gewölbten Bogen zieht
sich der Laufgang hin. Hier war der hölzerne Wehrgang. Armselige
Häuschen, einstöckig nur und nicht einmal bis an den Wehrgang
reichend, ducken sich, Schutz suchend, hinter den Mauerring. Von
Zeit zu Zeit ragt über die Mauer hinaus, nach außen auf Konsolen
gestützt, ein breites zweistöckiges Wachthaus auf, ernster und nicht
so kokett wie die schlanken achteckigen der Rheinstraße (Bild 5).
Burg
Friedestrom. Friedrich von Saarwerdens Hochburg Friedestrom
türmt sich aus schweren Basaltquadern auf, ein Bauwerk wie für alle
Ewigkeiten (Bild 9, 4, 6). Ähnlich dem Zollturm hat auch sie hoch
oben einen Spitzbogenfries erhalten, über den Wehrgang und Wehrerker
dahinziehen (Bild 10). Sonst ist alles schmucklos, nur bestimmt
durch den ernsten Zweck: Zons sollte der stärkste Stützpunkt der
Kölner Erzbischöfe gegen die Grafschaft Berg sein und die Hochburg
der uneinnehmbare Platz der ganzen Festungsanlage. Aus dem Hof der
Unterburg führt ein Torhaus hinaus aus der Stadt, in Aufbau und
Schmuck seiner Wehrerker ähnlich dem Torhaus der Hochburg (Bild 8,
7, 4). Vor ihm und längs der Stadtmauer der Zwinger; dort, wo er den
Mauerzug vom Rhein erreicht, der Eisbrecher (Bild 7, 4). Beide haben
längst ihren Zweck verloren. Früher floß der Rhein, bevor er sich
das neue Bett vor den Mauern der Rheinstraße gegraben hatte, vor dem
Zwinger hin, und Friedrich von Saarwerden konnte mit seinem Schiffe
unmittelbar vor dem Eingang seiner Unterburg anlegen (Bild 7). Heute
aber, so weit das Auge reicht, Wiesen mit Kopfbuchen bestanden,
Weiden und grasendes Vieh (Bild 4). Und so auch vor den übrigen
Mauern. In fruchtbare Niederung betten die alten Wälle und Gräben
den verträumten Ort (Bild 11, 1).
Literatur:
-
Paul Clemen,
„Kunstdenkmäler des Kreises Neuß“ 1895.
-
A. Otten, „Zons am
Rhein" 1903.
-
„Berichte der
Prov.-Komm. f. d. Denkmalpflege i. d. Rheinprovinz'" XIV, 1910.
-
Riehard Kiapheck,
„Die Baukunst am Niederrhein" L 1915
-
Ehler v. Grashoff,
„Zons am Niederrhein" 1927.
RICHARD
KLAPHECK. Düsseldorf 1936.
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