Schloss Hugenpoet

Rheinische Kunststätten - Reihe XIII: Die Ruhr - Nr. 1

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Geschichte. Dort, wo die Düsseldorf-Essener Landstraße am Ausgang der Waldserpentine des „Krummen Weges" die Ruhr erreicht, liegt verborgen hinter einem Eisenbahndamm Schloß Hugenpoet (Bild 1—3), ehemals der Sitz der Herren v. Nesselrode, deren Burg 1478 ausbrannte. An Stelle eines Neubaus oder eines zweiten Neubaus vom Anfang des 17. Jh. ließ der pfälzisch-neuburgische Geheime Rat Joh. Wilh. v. Nesselrode im Jahre 1647 die heute noch erhaltene Anlage aufführen, die im 19. Jh. eine eingehende Wiederherstellung erfahren hat, nachdem das Schloß an die Frhrn. v. Fürstenberg-Borbeck übergegangen war. .Auch die Wasseranlage hat damals eine Änderung erfahren: früher handelte es sich um drei durch Brücken verbundene Inseln zweier Wirtschaftshöfe und des Herrenhauses; und wo heute zwischen den beiden Wirtschaftshöfen Gärten sich ausbreiten, muß man sich früher die Fortsetzung der Wassergräfte der Herrenhausund der davor gelagerten zweiten Wirtschaftshof-Insel denken (Bild 3); in gleicher Weise war der erste Wirtschaftshof von der Burggräfte umspült. Außenbau. Der Eisenbahndamm behindert von der Landstraße aus leider die Orientierung und verdeckt den Zugang zum Schloß (Bild 3). Der Einfahrtstrakt, von quadratischen Ecktürmen flankiert, erzählt über dem Portal inschriftlich vom Bauherrn und dem Tag der Erbauung oder Vollendung, dem 7. Juli 1647. Der zweite Wirtschaftshof, symmetrisch zum Herrenhaus angelegt mit einem Bossenportal als Einfahrt (Bild 2), hatte ursprünglich am Ende der beiden Flügelbauten zur Landstraße zwei Türme geplant (Bild 3), die aber nur in den Fundamenten zur Ausführung Kamen, oder die ausgeführt später wieder beseitigt worden sind. Giebel, Dachgesims, Dachluken und Fensterrahmen der Eingangsfassade des Herrenhauses stammen erst von der Instandsetzung des 19. Jh. (Bild 1). An der Rückfront steigen wuchtige quadratische Ecklürme mit barocken Hauben auf.

Kunstgeschichtliche Zusammenhänge. Die Symmetrie und rechteckige Regelmäßigkeit der gesamten Anlage, die Stellung der quadratischen Wohntürme am Herrenhaus, ihre Haubenform und die Verwendung von horizontalen Hausteinbändern auf den Backsteinflächen und ihr Verhältnis zu den Fensterrahmen erinnern an das im gleichen Jahre erbaute Schloß Leerodt bei Geilenkirchen des ebenfalls pfalz-neuburgischen Kammerpräsidenten Heinr. Wilh. v. Leerodt (s. Heft Leerodt). Die Verwandtschaft würde noch augenfälliger sein, wenn das Herrenhaus auf Hugenpoet noch die ursprünglichen Hausteinfensterkreuze bewahrte, bei denen die horizontalen mittleren Querbalken in die horizontalen Hausteinbänder der Backsteinfassade überliefen, ebenso wie heute noch das ober« hund untere horizontale Rahmenstück. Wir reden hier von einem „gebundenen System des Backsteinbaus“, das jeder Teilung und Unterteilung einer Fassade die festen Maßverhältnisse vorschrich, Dieses gebundene System finden wir außer an Leerodt auch an Schloß Merode bei Dhorn (Kreis Düren), vor allem an den benachbarten gleichzeitigen Maastalschlössern Schaesberg und Hoensbroich bei Heerlen und Schloß Eysden bei Maeseyck. Diese Maastalschlösser bilden durch vielfache Beziehungen, auch durch verwandtschaftliche der Bauherren, eine Schulgemeinschaft. Die dienstlichen und höfischen Beziehungen der beiden Bauherren von Lecerodt und Hugenpoet mögen es erklären,daß der maastal-jülichsche Bautyp bis an die Ruhr vordrang. Aber auch in derAnordnung der Wirtschaftshöfe finden wir verwandte Zusammenhänge mit den maastal-jülichschen Schloßbauten zu Schaesberg, Pallandt, vor allem mit Hoensbroich, das ebenfalls zwei Wirtschaftshöfe aufweist. Aus diesen eindeutig überzeugenden Zusammenhängen heraus könnte man sich ausmalen, wie früher der Wirtschaftshof vor dem Herrenhaus auf Hugenpoet gedacht, wenn er nicht sogar so ausgeführt war (Bild 3): zwischen den zwei quadratischen Ecktürmen zum Eisenbahndamm ein Verbindungstrakt, der sich zum Hof in Arkaden öffnete und in der Mitte ein Portal als Zugang von der Landstraße aufwies.

Treppenhaus. In der Eingangshalle überrascht das festliche Treppenhaus aus schwarzem Marmor (1696), ein freistehendes Portal mit einer Marmorbalustrade, die in das Obergeschoß hinaufreicht. Säulen und Wandsäulen tragen den Aufbau, dennoch ein kunstvolles Gitter, ebenfalls von 1696, ziert. Über die einzelnen Räume verteilt sich eine beachtenswerte Gemäldesammlung alter Meister (Aufzählung i. Paul Clemens „Kunstdenkmälern der Stadt u. d. Kreises Düsseldorf“ 1894).

Renaissancekamine. Der Hauptschmuck des Schlosses sind seine fünf Prachtkamine im Untergeschoß (Bild 5—7), „in Aufbau und Ausführung die glänzendsten Werke der unter niederländischem Einfluß stehenden Spätrenaissance in den Rheinlanden und Westfalen“ (Paul Clemen). Zunächst in der Eingangshalle der Kamin von 1560 mit plastischen Szenen aus der Geschichte Lots: Lot die Engel des Herrn empfangend, die Männer von Sodom vor Lots Hause, die Flucht aus Sodom und Lot und seine Töchter (Bild 5); darüber erfindungsreiche, abwechslungsvolle Kartuschen mit Putten und Frauendarstellungen. (Die schablonenhaften Muschelbekrönungen hoch oben sind neuere Zutat.) Von gleicher Schönheit der Gestaltung sind die Tragekonsolen unten, in einem Kartuschengehäuse an die Konsolenleibung gefesselt eine Frau und ein Mann, die Seitenflächen geschickt aufgeteilt mit figürlichen Darstellungen der Astronomie, der Geographie, Italiens usw. — Die Konsolenleibungen des zweiten Kamins sind außerordentlich reich und lebendig entwickelt, zwei sich anfauchende Löwenmasken (Bild 6), die obere mit springenden Greifen an den Seitenwangen, die untere in einen Kartuschenpanzer gezwängt und in eine Löwenklaue auslaufend. Die Hauptdarstellung des Kaminaufbaus ist das Relief der Klage um Abels Tod, eingerahmt von Tragefiguren und Nischen. die sich mit ihren Architekturgliederungen auch auf die Seitenflächen fortsetzen, mit Statuen der Judith, der Hoffnung, Moses' und Arons. Unter der Klage um Abel die Steinigung Stephani, Davids Klage um Saul oder Absalom und eine andere biblische Szene, seitlich noch David und Sulamith und Isebel von den Mauern Jerusalems gestürzt. — Bei dem dritten Kamin gehören die an sich schönen Karyatiden des Unterhaus nicht zu dem Oberbau mit den Darstellungen des barmherzigen Samariters; ebenso ist der vierte Kamin eine nachträgliche Zusammensetzung. — Der fünfte Kamin vom Jahre 1578 ist das Hauptprunkstück von Schloß Hugenpoet (Bild 7): klassizistisch klar im architektonischen Aufbau, exakt in der Zeichnung der Gesimse und Profile, die Behandlung der Konsolen und Tragefiguren von klassischer Schönheit. Statuen der Venus, Zeus und Merkur teilen das Hauptstück auf: links das Relief der Flucht aus Troja, rechts der Brand von Troja, seitlich das Parisurteil und Pyramus und Thisbe. Im oberen Aufbau in reicher Architekturumrahmung auf sich aufbäumendem Roß über dem feurigen Erdspalt der sich opfernde Marcus Curtius, in den Seitennischen Statuetten der Mars und Minerva, hoch oben gefesselte Sklaven um das Allianzwappen v. d. Horst und Pallandt.

Die Meister der Kamine. Die Kamine auf Schloß Hugenpoet schmückten einst dicht an der heutigen rheinisch-westfälischen Provinzialgrenze an der Emscher das innen und außen überreich ausgestattet gewesene Prunkschloß Horst im Broiche, die Residenz des kurkölnischen Marschalls und Statthalters im Vest Recklinghausen, des seinerzeit politisch einflußreichen Rüttger v. d. Horst. Die fünf Hugenpoeter Kamine sind erst von Horst dorthin verbracht worden, als Schloß Horst um 1851 auf Veranlassung des Regierungspräsidenten von Münster wegen angeblicher Baufälligkeit zum größten Teil abgetragen worden war, nachdem vorher die damalige Besitzerin, die Freifrau v. Fürstenberg-Borbeck, den Verkauf des Schlosses an die Krone abgelehnt hatte. Nur einer der vier Schloßflügel ist auf Horst noch erhalten, und dort auch noch einer der zahlreichen Kaminaufbauten; die übrigen plastischen Schätze des Fassadenschmucks, der reich gegliederten Türen und Portale und der übrigen Kamine sind seit einigen Jahren in dem als Gaststätte eingerichteten Horster Schloßflügel wieder verwandt worden. Dieser plastische Schatz und die Hugenpoeter Kamine sind kunstgeschichtlich von größtem Interesse für die Aufnahme italienischer Renaissanceformen am Niederrhein und im westfälischen Grenzgebiet durch Vermittlung niederländischer und französischer Meister.

Der erste Baumeister von Horst kam aus Arnheim, Arndt Johannssen; seine Hauptmitarbeiter bei der plastischen Ausstattung der Fassaden, Türen, Kamine waren Heinrich und Wilhelm Vernukken aus Kalkar und Laurenz van Brachum aus Wesel. Der Vollender des Schlosses war der französische Bildhauer und Architekt Joist de la Court. Der plastische Formenreichtum an dekorativer Plastik auf Horst an abwechslungsreichen Kartuschen, Karyatiden, Bandwerk, Muschelwerk und Masken hängt zusammen mit dem Kunstkreis um Colyne de Nole in Utrecht. Flandrische Stichvorlagen mögen, wie damals üblich, die Anregung zu der dekorativen Ausstattung gegeben haben. Für die figürlichen Darstellungen lieferte der Bauherr, wie wir aus den Bauakten wissen, seinen Künstlern Stiche nach Plastiken und Gemälden. Die Auswirkung ist heute noch zu verfolgen: auf Horst eine Mosesstatuette nach Michelangelos Statue in Rom; Darstellungen der Diana und Callisto nach einem Gemälde Tizians; ein großes Relief der Konstantinsschlacht nach Raffaels Gemälde; die Darstellung des Triumphzugs Konstantins des Großen (Bild 8) nach dem antiken Relief des Triumphzugs Marc Aurels in Rom usw. Ebenso gehen auf Hugenpoet die Darstellung der Flucht aus Troja und des Brandes von Troja (Bild 7) auf Raffaels Bilder zurück (Borgobrand in Rom). Der Lot-Kamin (Bild 5) und der Kamin der Klage um Abel (Bild 6) stammen von Heinrich Vernukken aus Kalkar, Kaminfragmente in der Sakristei der Nikolaikirche zu Kalkar (Bild 4) und gewisse gleichzeitige Epitaphien im Kreuzgang des Doms zu Xanten zeigen eine verwandte Darstellungsweise. Heinrich Vernukkens Sohn Wilhelm baute später die Kölner Rathausvorhalle, die Schloßkirche zu Schmalkalden und in der Stiftskirche zu St. Goar das Grabmal des Landgrafen ‚Philipp II. v. Hessen († 1583 — s. Heft Stiftskirche zu St. Goar). Laurenz van Brachum war später auf den Lippeschlössern Assen und Hovestadt tätig. Joist de la Court hängt zusammen mit den Arkadenhof-Schloßbauten zu Jülich, Rheydt und Bedburg: von ihm stammt auch auf Hugenpoet der Troja-Kamin (Bild 9), der des Meisters Herkunft charakterisiert: er stammte aus dem Kreis des großen französischen Bildhauers und Baumeisters Jean Goujon.

Literatur:

  • Paul Clemen, „Die Kunstdenkmäler des Stadtund Landkreises Düsseldorf“ (1894). —

  • Edmund Renard, „Die Meister von Schloß Horst im Broiche. Das Schlußkapitel der Schule von Kalkar“ (1915).

  • Richard Klapheck, „Die Schloßbauten zu Raesfeld und Honstorff und die Herrensitze des 17. Jahrhunderts der Maastal-Backsteinarchitektur“ (1922).

  • Richard Klapheck, „Kalkar am Niederrhein“ (1930).

  • Alfred Kamphausen, „Die Niederrheinische Plastik des 16. Jahrhunderts und die Bildwerke des Xantener Domes“ (1931).

RICHARD KLAPHECK.

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