Das Klassizistische Wuppertal

Rheinische Kunststätten - Reihe XII: Bergisches Land - Nr. 1

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Elberfeld und Düsseldorf. Elberfeld, die führende Stadt des industriellen Bergischen Landes, hat seiner Ausdehnung entsprechend und gegenüber dem eng benachbarten Barmen wenig gemein mit sog. „bergischer Bauweise' heller Fensterrahmen auf geschiefertem Grund, um so mehr aber mit der klassizistischen baulichen Entwicklung Düsseldorfs im 18. u. 19. Jh., obwohl die landschaftlichen Voraussetzungen beider Städte so grundverschieden sind: Elberfeld eingezwängt von Bergen an der Wupper, in die hinauf die Straßen steil ansteigen müssen; Düsseldorf in der Ebene des Niederrheins. mit gleichmäßig langgestrecktem gradlinigem und rechteckigem Straßennetz. Der wirtschaftliche: Aufschwung Elberfelds in der zweiten Hälfte des 18. Jh. und das lebhafte Interesse des Landesherrn, des Kurfürsten Karl Theodor v. d. Pfalz (1742—1799), an der industriellen Entwicklung des Bergischen Landes, deren Bautätigkeit er durch Privilegien zu fördern suchte, hatten zwischen der bergischen Landeshauptstadt Düsseldorf und Elberfeld enge Beziehungen geflochten. Ein wohlhabendes. Fabrikantenpatriziat baute sich in Elberfeld stattliche Wohnhäuser, die, wie der damalige Ausbau in Düsseldorf in ähnlicher Weise vom Landesherrn gefördert, in den klassizistisch ausgestatteten behaglichen Gemächern und behäbigen Mansarddächern der Schlösser Benrath bei Düsseldorf und Jägerhof am Düsseldorfer Hofgarten das Ideal bürgerlich-patrizierlicher Bau- und Wohnkultur sahen, die Häuser Aders (1754), v. Carnap am Mäuerchen (1787), Lehbach und Kunz in der Aue usw. Die. Napoleonische Kontinentalsperre hatte zwar die blühende Bautätigkeit zum Stilliegen verurteilt.. Aber unter preußischer Herrschaft regten sich wieder seit 1815 Handel und Wandel. Die Stadt, die 1800 noch 12.000 Einwohner zählte, war bald nach 1815 bereits auf 22.000 angewachsen. An ihren Spitze stand der hochverdiente und unternehmende Oberbürgermeister Brüning, der in den alteingesessenen Patriziergeschlechtern Aders, v. Carnap, de Werth, Frowein, v.d. Heydt u.a. die einsichtigen und tatkräftigen Förderer seiner großen Ausbaupläne fand. Die alten baukünstlerischen Beziehungen zu Düsseldorf wurden wieder aufgenommen; und die beiden Baumeister, die für «.. Ausbau des neuen Düsseldorf nach Schleifen der alten Festungswälle zu Beginn des 19. Jh. bestimmend waren, wurden auch tonangebend für den Ausbau Eilberfelds: der Regierungs- und Barrat Adolf v. Vagedes, der Schöpfer der Elberfelder Laurentiuskirche (Bild 2-4), und der Regierungsbauinspektor Joh. Pet. Cremer, der Schöpfer des Elberfelder Rathauses (Bild 5). Ihr baukünstlerischer Einfluß wirkte sich auch auf die private Bautätigkeit aus. Zu St. Laurentius und Ratha.., Sesellten sich als wichtige klassizistische Monumentalakzente im Stadtbild das Landgericht (Bild 1 und das Empfangsgebäude des Bergisch-Märkischen Bahnhofs (Bild 8).

Katholische Pfarrkirche St. Laurentius (Bild 2, 3), begonnen 1828, aber erst 1835 nach vielen Schwierigkeiten vollendet, die nur behoben werden konnten dank der unterstützenden Anteilnahme Friedrich Wilhelms III. v. Preußen und der evangelischen Mitbürger Elberfelds (wie der Kölner Dom „ein Werk des Brudersinnes... und aller Bekenntnisse''), ist zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden. Der Bauplatz, Friedrich Wilhelm III. zu Ehren Königsplatz genannt, lag damals noch außerhalb der Stadt. Adolf v. Vagedes' Weitblick, der schon in Düsseldorf alle späteren städtebaulichen und verkehrstechnischen Schwierigkeiten vorausgesehen hat und vergeblich dort vorbeugen wollte (darüber ist ein besonderes Heftchen über Düsseldorfs Stadterweiterungen geplant), ahnte auch die zukünftige städtebauliche Gestaltung Elberfelds und suchte schon im voraus in dem Netz der späteren engen Wuppertalstraßen in einer großen architektonischen Platzanlage einen Ruhe- und Entlastungspunkt zu schaffen. Der alte Entwurf vom Jahre 1827 ist noch erhalten (Bild 2). Er zeigt in der großen triumphbogenartigen Portalumrahmung, der ausdrucksvollen zusammenfassenden Profilierung große Verwandtschaft mit derim Jahre der Erbauung der Elberfelder Kirche 1828 bereits geweihten neuen katholischen Pfarrkirche zu Rees, die man ebenfalls als eine Arbeit des Meisters ansprechen darf (s. Heftchen Rees). Vagedes plante in Elberfeld die Hauptfassade von der zurückliegenden einen Schmalseite des rechteckigen Platzes aus nach der zukünftigen wichtigen Durchgangsstraße gerichtet. Um die Platzausdehnung zu betonen und andererseits einen Maßstab für die Kirche zu gewinnen, postierte er in der Front der Hauptfassade an den Ecken des Platzes je ein Flankierhaus für Pfarrer und Küster. Arkaden sollten die Eckhäuser mit der Vorhalle der Kirche verbinden. Die Dachlinien der kleineren Seitenhäuser sollten das Auge auf den portalähnlichen Vorbau lenken. Eine spätere wahllose Bepflanzung des Platzes hat die wohlerwogen beabsichtigte Wirkung leider wieder vernichtet, nachdem schon vorher Vagedes' Eckbauten nicht zur Ausführung gekommen waren. (Vgl. die verständnisvollen Bildvorschläge des Stadtbaurats Schoenfelder zur Wiederherstellung des Platzesi.d. Zeitschr. d. Rhein. Ver. f. Denkmalpfl. u. Heimatschutz IV [1910] S. 102 u. 103.) — Das Innere der Kirche (Bild 4) hat eine andere Tonart als das von hohen kompositen Säulen getragene Kassettentonnengewölbe in Rees; es ist dreischiffig, mit Kuppelgewölben bedeckt, diese wie die tragenden Pfeiler mit reizvoller Bemalung, für die wir verwandte Dinge im Sitzungssaal des Rathauses zu Ürdingen (1832) und auf Haus Sollbrüggen zwischen Krefeld und Ürdingen wiederfinden, zwei Bauten, die ebenfalls mit Vagedes zusammenhängen dürften. Die Biographie des interessanten BauKünstlers, der mit Peter Cornelius und Karl Friedrich Schinkel befreundet war aus wesensverwandter künstlerischer Einstellung, steht noch aus; sie führt außer nach Düsseldorf, Elberfeld, Ürdingen und Rees noch nach Aachen, Krefeld und Münster i. W. — Von der früheren Laurentiuskirche (1722) wurden für den Neubau Altäre, Kanzel, Orgelund Bänke übernommen.

Das Alte Rathaus (Bild 5), Vagedes' wichtigster künstlerischer Mitarbeiter bei den städtebaulichen und architektonischen Ausbauplänen in Düsseldorf war 1805 — 1817 Joh. Pet. Cremer (1785 bis 1863), biser 1817 als Regierungsbauinspektor an die Regierung nach Aachen berufen wurde, Auch er fand in Elberfeld eine Stätte reicher Betätigung, wo vor allem sein Name verbunden ist durch den Bau des Alten ' Rathauses, des heutigen Museums, das noch vor Vagedes' Laurentiuskirche begonnen wurde (1826—1842 — Bild 5). „Ich möchte das gebaut haben!" sagte kein Geringerer als Karl Friedrich Schinkel von diesem Bauwerk; er schickte eigens von Köln seine Baubeamten zu dem noch unvollendeten Bau nach Elberfeld: „sie könnten dort sehen, wie man mit Quadern baue!“ Cremers Rathaus ist das bezeichnende Denkmal der unter der Leitung des weitsichtigen Oberbürgermeisters Brüning damals aufstrebenden Stadt. „Überhaupt wünscht der Stadtrat diesen Bau in einer Weise behandelt zu sehen, daß das jetzt zu erwerbende Rathaus auch nach hundert Jahre jenen Erwartungen entspricht, die die Nachkommen mit Recht von ihm fordern können und werden!“ Diese kühnen Wünsche in der Stadtratssitzung vom 26. August 1825 haben sich verwirklicht. Nachdem ein Baumeister Boogen aus Köln einen heute noch erhaltenen Entwurf eingereicht hatte, dann der Baumeister Krugmann, ‚ein talentvoller Elberfelder Architekt, der soeben aus Berlin zurückgekehrt war", wie Brünings Aufzeichnungen angeben, von der Stadt für den Neubau in Aussicht genommen worden war und schon vorher ein Architekt Kleinhans an einem Projekt gearbeitet hatte, wurde auf Drängen der Regierung Cremer mit dem Neubau betraut. Er setzte in das winkelige Elberfeld einen Bau von monumentaler Wucht und persönlicher Eigenart, für dessen Formen man bei italienischen Renaissancepalästen nur lose Zusammenhänge findet. (Ausführliches über die interessante Baugeschichte mit Plänen i. d. Zeitschr. d. Rhein. Ver. f. Denkmalpfl. u. Heimatschutz IV [1910] S. 89 ff.) Cxremers Selbständigkeit gegenüber südländischen Bauformen ist bei seinem Elberfelder Rathaus am besten zu umschreiben durch dieses Schinkelwort: „Zuvörderst ist zu erwägen, was unsere Zeit in ihren Unternehmungen der Architektur notwendig verlangt. Zweitens ist ein Rückblick auf die Vorzeit notwendig, um zu sehen, was schon zu ähnlichen Zwecken vormals ermittelt. wurde und was, als ein vollendet Gestaltetes, davon für uns brauchbar und willkommen sein könnte. Drittens, welche Modifikationen bei dem als günstig Aufgefundenen für uns notwendig werden müssen. Viertens, wie und in welcher Art die Phantasie sich tätig beweisen müsse, für diese Modifikationen ganz Neues zu erzeugen, und wie dies ganz Rrdachle in seiner Form zu behandeln sei, damit es mit dem geschichtlich Alten in einen harmonischen Zusammenklang komme und den Eindruck des Stils in dem Eindruck nicht nur aufhebe, vielmehr auf eine schöne Weise das Gefühl eines ganz Neuen entstehe, in welchem gleichzeitig die Anerkennung des Stilgemäßen und die Wirkung eines Primitiven, in einigen Fällen sogar des Naiven mit erzeugt wird und dem Werke doppelten Reiz verleiht." — Damit ist alles gesagt.

5. Das Alte Rathaus

Privatbau. Über Vagedes' Privatbautätigkeit in Elberfeld wissen wir bisher urkundlich nichts, wohl aber wissen wir, daß Cremer dort die Villen Felderhoff und vom Rath und die Häuser Siebel, de Werth und v. d. Heydt gebaut hat. Das Haus v. d. Heydi am Mäuerchen mit seinem klassizistischen Giebel und dem breiten, von ionischen Säulen getragenen Altan ist ein Echo des Cremerschen Theaterbaues und seines Elisenbrunnens zu Aachen (Bild 7). Eine weitere Verbindung nach Düsseldorf schufen die Elberfelder Privatarchitekten, die der Überlieferung nach ihre Studienjahre auf der Düsseldorfer Kunstakademie verbracht hatten, wo 1780—86 der begabte Peter Krahe, dann Josef Erb und 1805—1838 Karl Friedr. Schäffer als Architekturlehrer wirkten. Wichtiger aber noch als diese' akademische Unterweisung mag für die jungen Elberfelder der vom Ausgang des 18. in das 19. Jh. ununterbrochene baukünstlerische und einheitlich städtebauliche Ausbau Düsseldorfs durch die Huschberger, Flügel, Wauters, Vagedes, Cremer, Köhler . und Schnitzler gewesen sein. Das Haus Aue Nr.9in Elberfeld von A. Pelz atmet in seiner exakten, klaren klassizistischen Fassung und dem antikisierenden Giebel eine verwandte Ruhe des v.d. Heydtschen Hauses-(Bild 6). Bei den übrigen Privatbauten, Aue Nr. 17, Neuenteich Nr. 62, dem Armenhaus am Neuenteich, dem Lutherischen Gemeindehaus in der Berliner Straße, dem Neuburgschen Haus in der Luisenstraße und der Küpperschen Wirtschaft im Westende, ist ähnlich wie in Düsseldorf als Mittelrisalit ein von Pilastern getragener Giebel, meist drei getrennte Häuser, die sich zu einer wirkungsvollen Gruppe seitlich des Mittelgiebels sammeln. Aber das Erdgeschoß ist reicher ausgebildet als in Düsseldorf und in sequaderte bogenverbundene Pfeiler aufgelöst. Der führende Elberfelder Privatarchitekt war damals Unten Schrievers, nachweislich der Schöpfer des stattlichen Neuburgschen Hauses (1831—32), auf den auch mehr oder weniger die übrigen genannten Häusergruppen zurückgehen werden.

Stationsgebäude Döppersberg. Das fast 90 Jahre alte Stationsgebäude von Hauptner und Ebeling (1846) ist heute noch immer von festlicher Wirkung (Bild 8). Das Gelände trägt noch dazu bei, die Wirkung des Bauwerks zu steigern, das sich auf der Höhe eines ansteigenden Platzes ausbreitet, auf den verschiedene Straßen einmünden, 1882 und 1908 wurden bauliche Veränderungen notwendig, aber der Gesamteindruck ist der alte geblieben. Wir haben keinen zweiten Bau in der Rheinprovinz, der in der ganzen Anlage wie im Detail und den klangvollen Verhältnissen so sehr Schinkelschen Geist atmet, Das Motiv der mittleren Eingangshalle, dartber auf einer Plattform die von vier Säulen getragene Giebelarchitektur, kehrt auch in Sehinkels Stadtiheater zu Hamburg und dem Entwurf für den Ausbau des Palais Prinz Wilhelm am Opernplalz zu Berlin wieder.

Landgericht. Karl Friedr, Busse (1802 68), 1830 Schinkels Assistent, wurde 1837 Mitglied der kgl. Preuß, Oberbaudeputation und als soleher oberster Benmier für die Ausführung der fiskalischen Bauten in Rheinland und Westfalen, In Jülberfeld wäre neben solnem Postgebäude an erster Stelle sein Landgericht hervorzuheben (1848 93 Bild 1), Die Situation des aus Ruhirkohlensandstein errichteten Bauwerks auf dem „Niland", einer Wupperinsel mit Brückenzugängen, ist überaus reizvoll und gibt dem Bau eine eigene feierliche Abgeschlossenheit. Aber auch als Bauwerk an sich verdient es Beachtung, eine höchst seltsame und auffallende Anlage: ein Sockelgeschoß rahmt einen viereckigen Hof ein. Über diesem Unterbau reihen sich nach der Eingangsfassade offene Arkaden aneinander, seitlich eine Arkadenstellung tief, mit einem flachen Dach abgeschlossen. Die Seitentrakte haben die Form antiker Tempel. Ihre Giebel ragen über die Arkaden hinaus. Die Rückfront ist niedriger angelegt. Nach dem Hof öffnen sich die seitlichen Korridore der beiden Tempelbauten wie der in Arkaden.

Würdigung. Denkmalpflege und Kunstgeschichtsforschung haben sich bisher in den Rheinlanden noch viel zu wenig mit den klassizistischen Bauwerken der ersten Hälfte des 19. Jh. beschäftigt. Schinkel wurde hier zu einem Sammelbegriff, ohne daß man von seinem so ausgedehnten Bauschaffen die durchaus selbständigen baukünstlerischen Persönlichkeiten in den Rheinlanden zu trennen versuchte: Vagedes, Cremer, Busseu.a. Ihre Bauten haben aber heute für uns erneute Bedeutung durch ihre durch Schinkel diktierte baurationalistische Einstellung des Zweckmäßigen, durch ihre materialgerechte Bearbeitung, ihre rhythmische Anordnung und Aufteilung und das verständnisvolle Zusammenarbeiten von Architektur und Malerei und Plastik, als die Baukunst noch die ‚‚Mutter der bildenden Künste" war und ein Stadtbild noch als künstlerischer Organismus erfaßt wurde. Die Wiederbelebung baukünstlerischen Schaffens der Gegenwart wird eine Schinkel-Renaissance sein, nicht der äußerlichen klassizistischen Formen, wohl aber der baukünstlerischen Gesinnung!

Literatur:

  • Schoenfelder, Neumann u. Cuny i. d. Zeitschr. d. Rhein. Ver. f. Denkmalpfl. u. Heimatschutz IV (1910) S. 74 ff., S. 98 ff., S. 105 ff.

  • Johannes Everling, ebendort XX (1927) Heft 2 5. 35 ff.

  • Richard Klapheck i. „Die Rheinprovinz 1815—1915“, herausgegeben von Joseph Hansen (1917) II S. 248 ff.

RICHARD KLAPHECK.

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